Amir’s Geburt war der Beginn von etwas Wunderschönem – und zugleich von etwas, das mein Leben für immer verändern sollte. In dem Moment, als ich ihn das erste Mal sah, war da diese unendliche Liebe – und gleichzeitig ein Gefühl von Unsicherheit, von Fragen, für die es keine Antworten gab. Als ich ohne Kind, aber mit einer Diagnose nach Hause geschickt wurde, wusste ich noch nicht, dass ich gerade in eine völlig neue Rolle hineingewachsen war: die einer pflegenden Mutter.
Epidermolysis bullosa – drei Worte, die so klinisch klingen und doch so viel bedeuten. Eine seltene Hautkrankheit, bei der die Haut so verletzlich ist wie die Flügel eines Schmetterlings. Zuvor hatte ich diesen Begriff nie gehört, doch er sollte fortan jeden meiner Tage, jede meiner Entscheidungen und jede meiner Hoffnungen prägen.
Ich erinnere mich, wie ich in den ersten Wochen versuchte, all das zu begreifen – die Pflege, die Verbände, die Angst vor jeder kleinsten Verletzung. Und doch war da immer Amir: mein kleiner Kämpfer, so zart und gleichzeitig so stark. Seine Haut mag empfindlich sein, doch sein Wille ist es nicht.
Schon bald fand ich Halt bei DEBRA Schweiz, einer Gemeinschaft von Menschen, die verstehen, was es bedeutet, mit EB zu leben. Durch sie durfte ich lernen, wachsen und schließlich auch meine Geschichte teilen – in der Beilage des GEO-Magazins „Chronische und seltene Krankheiten“. Mein Bericht findet sich auf Seite 10 der Ausgabe, die ihr hier lesen könnt: Chronische & Seltene Krankheiten (yumpu.com)
Amir ist unser drittes Kind. Amir ist ein Frühchen. Amir hat Epidermolysis bullosa.
Am Tag des 30. Novembers letzten Jahres merkte ich schon mittags, dass etwas anders war. Da ich erst in der 33. SSW war, rief ich im Spital an, ob ich mich untersuchen lassen könnte. Kurz darauf fuhr ich in die Frauenklinik und um 3.04 Uhr kam Amir per Kaiserschnitt zur Welt.
Man sagte mir schon vor der OP, dass man Amir zuerst in ein Nebenzimmer bringen würde, wo ihn Kinderärzt:Innen der Neonatologie untersuchen würden und ich ihn danach sehen könnte. Noch während ich genäht wurde, durfte mein Mann zu Amir gehen. Als er wenige Minuten später zu mir zurückkam, zeigte er mir besorgt zwei Bilder, die er von Amir geschossen hatte und auf denen man sah, dass ihm Haut an Füssen und Ellbogen fehlte. Ich weiss nicht warum, aber ich habe mir da noch nicht zu viele Gedanken gemacht. Von der Schmetterlingskrankheit hatte ich bislang auch noch nichts gehört.
Dann wurde uns gesagt, dass Amir auf Grund seines Zustandes in das Kinderspital Zürich verlegt werden müsste. Ich sah Amir das erste Mal in Folie eingewickelt mit Atemmaske hinter der Scheibe eines Babybetts für den Krankentransport. Ohne ihn berührt, gefühlt oder gerochen zu haben, musste ich mich von ihm verabschieden und wurde auf die Wochenbettstation gebracht.
Noch am selben Tag der Entbindung bin ich vom Triemli mit dem Taxi ins Kinderspital Zürich gefahren, um endlich mit einem Arzt zu sprechen und Amir zu sehen. Die Diagnose erhielten wir allerdings erst am nächsten Tag.
Amir verbrachte insgesamt 35 Tage im Spital. Wir wurden von Anfang an sehr eng durch das Pflegepersonal wie auch den Ärzt:Innen betreut. Schnell hatte sich hier ein Ärzteteam der Neonatologie, Intensivstation, Dermatologie und Kardiologie aufgebaut und Mitarbeiter:Innen der Abteilungen Sozialberatung, Psychologie, Seelsorge wie auch Physiotherapie boten ihre Dienste an. In diesen 35 Tagen wurde ich mit einer Fülle an Informationen über EB, Amir’s Herzerkrankung, seinen Frühgeborenenstatus von Expert:Innen überschüttet. Der gut gemeinte Rat der Ärzt:Innen, den sie mir nach der Diagnosestellung gaben, war, die Krankheit nicht zu googlen. Zurück auf der Wochenbettstation gab ich Epidermolysis bullosa in mein Handy ein und sah mir das erste Video an, das ich fand. Wenn man wie ich noch keine Berührungspunkte mit einem seltenen Gendefekt hatte, fühlt man sich sehr hilflos und muss schauen, wohin mit seinen Gefühlen. Ich weinte die ganze Nacht mit den neugeborenen Babys, die ich durch meine Zimmertür über den Gang hören konnte und hatte nichts und niemanden, der meine Gefühle auffangen konnte. Was mir zwischen den ganzen Arztgesprächen, Verbandswechsel, Milchabpumpen, Warten, Bangen und Informationen im Internet recherchieren gefehlt hatte, war eine Gesprächsperson, die wirklich verstand, welche Ängste ich durchlebte und welche Fragen mir durch den Kopf schossen. Jeden Tag erwartete ich einen Anruf, dass es unserem Sohn schlechter ginge oder gar, dass er das Ganze nicht überleben würde. Hier hätte ich mir gewünscht, dass ich mich eher an DEBRA gewandt hätte und somit sofort eine Ansprechperson gehabt hätte. Eine stille Umarmung von einer Mutter, die schon das hinter sich hatte, was mir noch bevorstünde, hätte mir Hoffnung und Mut gemacht, dass alles gut kommen würde. Es ist nicht zu unterschätzen, was eine Patientenorganisation für Betroffene und ihre Angehörigen leisten kann. Sicherlich, Amir war ärztlich gut versorgt – da muss man sich in der Schweiz keine Sorgen machen.
Da aber die Krankheit so selten ist, dass sogar unter Ärzt:Innen und Pflegepersonal zu wenig Erfahrungswerte vorhanden sind, um alltagstaugliche Lösungen und Tipps an die Betroffenen und ihren Familien weitergeben zu können, ist eine solche Patientenorganisation unerlässlich. DEBRA schliesst hier eine Lücke, die von keinem Ärzteteam oder sonstige Institution gefüllt werden könnte. Daher möchte ich allen Ehrenamtlichen für ihr Engagement danken.
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