Jedes Jahr ist vom 25.10. - 31.10. EB Awareness Week. Eine Woche, die an all die Kinder erinnert, deren Haut so verletzlich ist wie Schmetterlingsflügel – und an die Familien, die mit dieser Zerbrechlichkeit leben.
Ich möchte heute nicht erklären, was Epidermolysis bullosa bedeutet. Ich möchte zeigen, wie sie sich anfühlt.
Rückblick 2024:
Anfang Dezember verletzte sich Amir an seiner gesamten linken Hand, Vorder- und Rückseite. Ich war froh, dass die Wunden so weit verheilt waren, dass wir am Abend zum Adventssingen vor der Schule gehen konnten. Mein ältester Sohn ging schon einmal zu Fuss vor und ich sagte ihm, dass ich die Kleinen fertig mache und nachkomme.
Kurz bevor wir die Wohnung verlassen wollten, ging an Amirs rechter Hand am Mittelfinger die komplette Haut ab. Es blutete stark, Amir weinte und ich musste die lose Haut vorsichtig entfernen, den Finger desinfizieren und - so gut es allein ging - verbinden. Amir hält mit seinen zwei Jahren natürlich nicht still – er versteht noch nicht, dass der Verband wichtig ist und ihn vor einer möglichen Infektion schützt. Er weint, zieht seine Hand zurück, damit ich sie nicht berühre.
Die Haut, unser grösstes Organ, schützt uns nicht nur vor Schmutz, sondern bildet auch eine Barriere zu den vielen Nerven darunter. Ist sie verletzt, sendet das Gehirn als Warnung das Signal „Schmerz“. Wie stark dieser Schmerz für Amir sein muss, wenn einem Finger die gesamte Haut fehlt, kann ich nur erahnen.
Mein Blick fiel auf die Uhr und ich wusste, dass es eigentlich schon zu spät war – doch zog ich trotzdem beide Kinder wetterfest an, um zum Adventssingen des Bruders zu fahren.
Als ich mich der Schule näherte, sah ich nur noch vereinzelte Personen, die sich gerade vom Platz vor dem Schulhaus entfernten. Obwohl ich innerlich wusste, dass wir zu spät waren, parkierte ich am Seitenstreifen, stieg aus und hoffte, meinen Sohn noch zu finden.
Ich fand ihn nicht. Enttäuscht stieg ich wieder ins Auto und fuhr nach Hause. Entlang der Strasse sah ich Eltern mit ihren Kindern, die gemeinsam nach Hause gingen, und es wurde ganz schwer ums Herz.
Ich stellte mir vor, wie mein Sohn mich während des Gesangs in der dunklen Menschenmenge suchte – wie er Ausschau hielt, als das Vorsingen zu Ende war. Ich sah vor mir, wie er dann allein den Heimweg antrat, vielleicht mit einem Kloß im Hals.
Auch wenn ich wusste, dass er nicht entlang der Hauptstrasse lief, suchte ich ihn zwischen den Gruppen, die Hand in Hand davongingen. Ich fand ihn nicht – und begann zu weinen.
Schon wieder war ich nicht dabei, weil Amir verletzt war und versorgt werden musste. Schon wieder war der grosse Bruder allein, mit seinen elf Jahren.
Im Rückspiegel sah ich Laili, die die ganze Zeit ruhig geblieben war – ruhig, während ich Amir verband, ruhig, als ich sie bat, sich schnell anzuziehen. Sie sass still im Auto und schaute die leuchtenden Lichter an den Häusern an, an denen wir vorbeifuhren.
Kaum waren wir zu Hause und legten unsere Sachen ab, kam Ares durch die Tür.
Einerseits spürte ich an diesem Tag ein Gefühl des Versagens – und gleichzeitig ganz viel Stolz darauf, wie alle drei Kinder ihre Situationen meistern.
EB Awareness Week.
Manchmal sind es nicht die grossen Geschichten, die zeigen, wie EB das Leben verändert, sondern die kleinen – die, in denen man zu spät kommt, weil wieder eine Wunde neu aufgegangen ist.
EB bedeutet nicht nur Schmerz auf der Haut, sondern auch verpasste Momente, Tränen im Auto, stille Stärke und den unerschütterlichen Willen, trotzdem loszugehen.
EB ist selten. Aber für uns ist sie täglich.
Und inmitten all des Schmerzes, der Müdigkeit und der verpassten Lieder gibt es auch dieses Leuchten – das Leuchten meiner Kinder, die jeden Tag auf ihre Weise kämpfen, lieben und leben.
Sie sind meine Erinnerung daran, dass Stärke manchmal ganz still ist.
Kommentar hinzufügen
Kommentare