Ich zeige nicht das Leid, sondern das Leben. Nicht den Schmerz, sondern das Menschsein.

Veröffentlicht am 7. Oktober 2025 um 12:00

Wenn Veränderungen kommen und wie wir auf sie blicken.

Neulich bin ich auf ein Reel gestoßen, das mich tief nachdenklich gemacht hat. Eine Mutter beschreibt darin, wie sich ihr Leben nach der Geburt ihres Schmetterlingskindes verändert hat. Früher sei alles leicht: Arbeit, Freunde, Reisen, Hobbys – alles selbstverständlich. Heute dreht sich jeder Tag um Schmerzen, Pflege, Überleben. Das Lachen von früher sei leiser geworden, die Träume kleiner, die Sorgen größer. Während die Welt weiterzieht, stehen sie still – im ständigen Kampf um Würde, Unterstützung und ein Stück Normalität.

Besonders beschäftigt hat mich die Art, wie diese Veränderungen dargestellt werden: Die schönen Momente von früher werden den schweren Momenten von heute gegenübergestellt – oft sehr drastisch, etwa durch Bilder von Wunden, Verbänden oder einem Kind mit traurigem Gesichtsausdruck. Es wirkt fast, als würde das Kind selbst zur Verkörperung des Schmerzes werden.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass es heute keine schönen Momente gibt. Vermutlich wählt jeder bewusst oder unbewusst seinen eigenen Filter – und dieser Fokus prägt, was wir sehen und fühlen.

Und doch lässt mich ein Gedanke nicht los:
Was passiert, wenn dieses Kind – vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren – dieses Video sieht? Wenn es erkennt, dass es selbst das Gesicht ist, das für Schmerz, Verlust oder „verlorene Freiheit“ steht? Wie muss es sich anfühlen, wenn die eigene Mutter öffentlich erzählt, dass sie wegen ihm nicht mehr ausgehen kann, dass ihr Lachen leiser geworden ist?

Ich verstehe den Schmerz, die Erschöpfung, das Bedürfnis nach Verständnis. Es ist menschlich, gehört zu werden, wenn das Leben plötzlich anders verläuft als geplant. Aber dürfen wir dafür die Privatsphäre unserer Kinder aufgeben – vor allem dann, wenn sie zu klein sind, um selbst zu entscheiden, was sie zeigen wollen? Ein Kind mit drei Jahren kann nicht begreifen, dass tausende Menschen seine Wunden gesehen haben. Es kann nicht „Nein“ sagen. Und doch wird es eines Tages mit diesen Bildern leben müssen.

Und dann komme ich zu mir selbst.
Ich frage mich oft, ob ich selbst widersprüchlich bin. Denn auch ich zeige mein Kind im Internet. Ich tue es, weil ich zeigen möchte, dass das Leben mit einem behinderten Kind nicht nur aus Leid besteht, sondern voller Freude, Liebe und Lebensmut ist. Ich zeige mein Kind, wenn es lacht, spielt, tobt – weil ich anderen Mut machen will, sich nicht vor besonderen Herausforderungen zu fürchten. Und doch frage ich mich manchmal: Ist das heuchlerisch? Mache ich es wirklich aus Aufklärung, oder auch, weil ich gesehen werden will? Diese Fragen gehören dazu. Und vielleicht ist es genau das, was Verantwortung heute bedeutet – nicht perfekt zu sein, sondern sich dessen bewusst zu sein.

Ich zeige nicht das Leid, sondern das Leben.
Nicht den Schmerz, sondern das Menschsein.
Ich will, dass Menschen sehen, dass ein Schmetterlingskind nicht das Ende von Träumen bedeutet, sondern der Anfang anderer, tieferer Träume. Dass Veränderung nicht nur nimmt, sondern auch schenkt – neue Perspektiven, neue Werte, neue Stärke.

Für mich selbst hat mein Schmetterlingskind mein Leben auf eine Weise verändert, die ich nie erwartet hätte. Die Herausforderungen sind real, keine Frage. Aber sie haben mich wachsen lassen, mich mutiger gemacht, mich gezwungen, innezuhalten und das Leben in seiner Tiefe zu spüren. Ich habe begonnen, Klavier zu spielen, kleine Wunder im Alltag zu entdecken, Momente bewusster wahrzunehmen. Ein Lächeln, ein erster Schritt, ein kurzer Sonnenstrahl am Fenster – all das wirkt heute intensiver und kostbarer.

Vielleicht liegt genau darin die tiefere Lektion: Veränderung kann schwer sein, aber sie trägt Chancen in sich. Sie zwingt uns, hinzusehen, zu fühlen, zu wachsen. Wenn wir lernen, die Schönheit im Alltag zu sehen, entdecken wir Freude, Staunen und kleine Wunder – selbst mitten in den größten Herausforderungen.

Am Ende bleibt eine einfache Wahrheit:
Veränderung ist Teil des Lebens. Wir gestalten, wir lernen, wir wachsen.
Und unsere größte Aufgabe als Eltern ist es vielleicht, nicht nur zu pflegen, sondern auch zu bewahren – die Würde unserer Kinder, ihre Geschichte, ihr Recht darauf, selbst zu entscheiden, wer sie sind und was die Welt von ihnen sehen darf.

Denn Veränderung kann weh tun.
Aber sie darf niemals auf Kosten derer gehen, die uns das Wertvollste sind.

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